HEUTE NACHMITTAG : ALS WIR NOCH AN WAS GLAUBTEN

(scroll down for english version)annamccarthy

Demonstration zur Beerdigung des Krieges R.I.P. vom Marienplatz zum Zenith-Gelände Freimann von Anna McCarthy
31. März 2014
13 Uhr Marienplatz
Schlusskundgebung 17 Uhr Zenith-Gelände

1914/2014: Die Neuvermessung Europas – ein Programm des Kulturreferats der Landeshauptstadt München

Besucher marschieren mit

Wir essen Salat, ja wir essen Salat
Und essen Gemüse von früh bis spat.
Und schimpft ihr den Vegetarier einen Tropf,
So schmeissen wir euch eine Walnuss an den Kopf.
Wir essen Salat, ja wir essen Salat
Und essen Gemüse von früh bis spat.

– Der Gesang der Vegetarier, Erich Mühsam (1905) zur Melodie 'Immer langsam voran'

(Version: DAMENKAPELLE)anna mccarthy

Die Bayerischen Geschützwerke Freimann/Krupp (heutiges Zenith-Gelände) waren während des 1. Weltkriegs der größte Rüstungsbetrieb in München. Deren Belegschaft war die erste, die in München zum politischen Streik und am 31. Januar 1918 zu einer Demonstration in die Innenstadt aufrief. Schlussendlich führten die Arbeiterstreiks zur Räterepublik in München – angeführt von Dichtern und Künstlern. Die Kunstperformance nimmt dieses historische Ereignis in einer abstrakten Inszenierung mit Bezug zur Jetztzeit zum Thema. Auf einem hochdekorierten Umzugswagen spielen und lesen die Münchner DAMENKAPELLE, Das Weiße Pferd, Peter Friedrich,Tagar, Manuela Rzytki, Federico Sanchez, Sebastian Kellig, Anton Kaun und Nick McCarthy von Franz Ferdinand Arbeiter- und Antikriegslieder u.a. mit Texten von Erich Mühsam und Hugo Ball. Der Umzugswagen zieht durch die Stadt und erzählt rückwärts eine Collage der Ereignisse vor, während und nach dem 1.Weltkrieg durch die Sicht des Künstlers. Eine friedliche Demonstration gegen den Krieg – damals und heute. Und am nächsten Tag wachten wir auf und stellten fest: April! April!

"...So sterben wir, so sterben wir. Wir sterben alle Tage,

Weil es so gemütlich sich sterben läßt.

Morgens noch in Schlaf und Traum

Mittags schon dahin.Abends scho zuunterst im Grabe drin.

Die Schlacht ist unser Freudenhaus.

Von Blut ist unsere Sonne.Tod ist unser Zeichen und Losungswort.

Weib und Kind verlassen wir -Was gehen sie uns an?

..."

– Totentanz, Hugo Ball (1916) zur Melodie "So leben wir alle Tage"

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1914/2014: Die Neuvermessung Europas – Kunstinterventionen im öffentlichen Raum

– ein Programm des Kulturreferats der Landeshauptstadt München

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ENGLISH:
HEUTE NACHMITTAG – ALS WIR NOCH AN WAS GLAUBTEN
eng. It was only this very afternoon that we still believed in something
Demonstration to bury all wars R.I.P. by Anna McCarthy

31st March, Munich
Meeting Point: 1pm Marienplatz march to Zenith-Gelände

The demonstration follows the route of the striking arms' workers in Munich, January 1918 during the 1st World War. This was one of the main demonstrations that led to the overthrow of the Wittelsbach monarchy and the shortlived Bavarian Socialist Revolution (1918-1919) led on by anarchist artists and writers including Erich Mühsam, Ernst Toller, Oskar Maria Graf and Kurt Eisner.
The highly decorated float will move through the city visiting significant points and remembering the shortlived dream of a free state through song and speech. The poems and songs of Erich Mühsam and Hugo Ball are newly interpreted by Munich-based musicians DAMENKAPELLE and Tagar, Rumpeln, Das Weiße Pferd, Manu Rzytki, Federico Sanchez, Sebastian Kellig and Nick McCarthy from Franz Ferdinand (pun intended). Historical excerpts are read by Peter Friedrich and Anna McCarthy. The story will be told backwards and abstracted of the days before, during and following; to end all wars then and now.
The next day we will wake up and realise we've all been ... April fooled. anna mccarthyanna mccarthy

Legt nur die Stirn in ernste Falten,
schreckt auf im Bette ungehalten
und scheuert euch die Augen wach.
Flucht auf die unerwünschte Störung,
reißt's Fenster auf und schreit: Empörung!

Wir geben nicht nach!
Wir geben nicht nach!

- Trutzlied, Erich Mühsam

anna mccarthy

annamccarthyanna mccarthy

Aber unser Revoluzzer
schrie: “Ich bin der Lampenputzer
dieses guten Leuchtelichts.
Bitte, bitte, tut ihm nichts!
Wenn wir ihn’ das Licht ausdrehen,
kann kein Bürger nichts mehr sehen.
Laßt die Lampen stehn, ich bitt! ­
Denn sonst spiel ich nicht mehr mit!”
Doch die Revoluzzer lachten,
und die Gaslaternen krachten,
und der Lampenputzer schlich
fort und weinte bitterlich.
Dann ist er zu Haus geblieben
und hat dort ein Buch geschrieben:
nämlich, wie man revoluzzt
und dabei doch Lampen putzt.

- der revoluzzer, erich mühsam

anna mccarthyanna mccarthy

Still, mein armes Söhnchen, sei still.
Weine mich nicht um mein bißchen Verstand.
Weißt noch nichts vom Vaterland,
daß dein Leben haben will.
Sollst fürs Vaterland stechen und schießen,
sollst dein Blut in den Acker gießen,
wenn der Kaiser befiehlt und will. –
Still, mein Söhnchen, sei still!

- das wiegenlied, erich mühsam

anna mccarthy

Wusch ich mich schon vor einem Jahr
zum letzten Mal mit Seife,
so ward jetzt auch der Tabak rar
Schwarz gähnt das Maul der Pfeife.
Ein kalter Ruch – Erinnerungswahn –
entdünstet trüb dem Rachen.
Die taubste Nuß, der hohlste Zahn
kann nicht so traurig machen.
- die pfeife, erich mühsam anna mccarthyanna mccarthy

Der Exhibitionist stellt sich gespreizt am Vorhang auf,
Und Pimpronella reizt ihn mit den roten Unterröcken.
Koko der grüne Gott klatscht laut im Publikum.
Da werden geil die ältesten Sündenböcke.
Tsingtara! Da ist ein langes Blasinstrument.
Daraus fährt eine Speichelfahne. Darauf steht: »Schlange«
– hugo ball, marietta die monaco >cabaret<
anna mccarthyanna mccarthyanna mccarthySauft, Soldaten!
Daß das Blut
heißer durch die Adern rinnt.
Saufen macht zum Sterben Mut.
Sauft! Die Zeit der Heldentaten
fordert saftige Teufelsbraten.
Sauft! Der heilige Krieg beginnt.
anna mccarthyanna mccarthyanna mccarthyanna mccarthyanna mccarthyanna mccarthyanna mccarthyanna mccarthyanna mccarthyanna mccarthyanna mccarthyanna mccarthyanna mccarthyanna mccarthyanna mccarthyanna mccarthyEIN PAAR FRAUEN UND MÄDCHEN halblaut
Wir sind doch Menschen !
ALLE aufschreiend: Wir sind doch Menschen !
ALLE leis, als ob sie lächelten: Wir sind doch
Menschen!
Stille.

- die wandlung, ernst toller

 

 

 

Photographs: Sabine Kuhn, Konrad Fersterer, Stefane Gruber